Book Review / Рецензия книг / Buchbesprechung: Wenzler-Cremer, Hildegard (2016): Studierende und Kinder lernen voneinander. Ein Patenschaftsprogramm an Freiburger Grundschulen. Erfahrungen – Reflexionen – Rahmenbedingungen.

By Natascha Hofmann | September 7, 2016

Wenzler-Cremer, Hildegard (2016): Studierende und Kinder lernen voneinander. Ein Patenschaftsprogramm an Freiburger Grundschulen. Erfahrungen – Reflexionen – Rahmenbedingungen. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag (ISBN: 978-3-7841-2759-0; 270 Seiten; Preis: 21,- Euro).

Gesellschaftliches Zusammenleben ist heute von zunehmend pluralisierten Lebensformen geprägt: Migrationsbewegung, Globalisierungsprozesse und der Wandel von Familienstrukturen tragen maßgeblich hierzu bei. Verändert und stets ausgehandelt wird gesellschaftliches Miteinander im Alltag durch die sozialen Interaktionen von Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und soziokulturellen Hintergründen. Patenschaftsprogramme bieten die Möglichkeit, Menschen ein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten, dabei Differenzen zu erkennen, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und soziales Miteinander auf Basis von alltäglichen face-to-face-Interaktionen im Kleinen zu gestalten.

Frau Dr. Hildegard Wenzler-Cremer stellt in dem Buch das Patenschaftsprogramm SALAM vor, welches auf dem Austausch von Studierenden und Grundschülern durch gemeinsame Freizeitaktivitäten aufbaut und von regelmäßigen Treffen an den Schulen und fachwissenschaftliche und kollegialer Begleitung in Seminaren an Freiburger Hochschulen eingerahmt wird. Die Autorin ist Diplom-Psychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Koordinatorin im Patenschaftsprogramm SALAM (Spielen – Austausch – Lernen – Achtsam – Miteinander). Die vielfältigen und langjährigen Erfahrungen als Koordinatorin des Programms hat sie unter anderem auf Basis qualitativer Auswertung von studentischen Aussagen und Berichten in ihrem Buch systematisch zusammengetragen.

Die Bezeichnung des Patenschaftsmodells SALAM (Spielen – Austausch – Lernen – Achtsam – Miteinander) ist ein Akronym und steht für einen gemeinsamen Austausch des Spielens und Lernens in einer achtsamen und wertschätzenden Umgangsweise. Inspiriert wurde SALAM durch das Patenschaftsmodell „Nightingale“ aus Malmö, welches auf ähnliche Modelle wie „Perach Mentoring Projekt“ aus Israel zurückgeht und sozial benachteiligte Kinder mit Studierenden aller Fachrichtungen zusammenbringt. Im Jahr 2007 wurde „Nightingale“ erstmals an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg durchgeführt. Zwei Jahre später wurde die Idee des Patenschaftsmodells erweitert und in SALAM umbenannt. Seitdem haben etwa 60 Tandems pro Schuljahr an dem Programm SALAM teilgenommen, und die Kooperation zwischen vier Grundschulen, der Stadt Freiburg und der Pädagogischen Hochschule hat sich etabliert und ist institutionell verankert.

Zwei Ziele des Programms werden als zentral genannt: Zum einen sollen die Tandem-Kinder, die zwischen 8 und 11 Jahren alt sind, die Chance bekommen, neue Lebenswelten zu entdecken, ihren Horizont zu erweitern und ihr Selbstvertrauen sowie soziale Kompetenzen zu stärken. Hinzukommt, dass Tandem-Kinder, die einen Migrationshintergrund haben, durch das Sprachbad profitieren und ihre Sprachkompetenzen spielend durch implizites Lernen weiterentwickeln. Zum anderen sollen Tandem-Studierende, die später einen pädagogischen Beruf ausüben wollen, pädagogisches Handeln erproben, den Blick für die Bedürfnisse der Kinder schärfen, für interkulturelle Begegnungen sensibilisiert werden und dabei ihre eigene Sozialisation und Enkulturation reflektieren. Eine Chance ist für die Studierenden zudem, dass sie durch den Austausch mit den Kindern sowie durch Absprachen mit Eltern und Lehrkräften, lernen, in unterschiedlichen Rollen entsprechend zu agieren.

Die genannten Ziele und damit einhergehenden Perspektiven beider Tandempartner werden durch zahlreiche studentische Berichte in den vier Kapiteln zu Erfahrungsfeldern strukturiert und immer wieder beispielhaft aufgegriffen: „Eine tragfähige Beziehung aufbauen“, „Entdeckung neuer Lebenswelten und Möglichkeiten“, „Lernchancen wahrnehmen, Persönlichkeit und Kompetenzen entwickeln“ sowie „Vom Stolpern und wieder Aufstehen: Mögliche Schwierigkeiten im Programmverlauf“. Gerahmt werden diese Erfahrungsfelder durch ein einleitendes Kapitel zur Konzeption, zur Geschichte und zum organisatorischen Ablauf des Patenschaftsprogramms SALAM sowie durch ein weiteres Kapitel, in dem die Autorin die konkrete und praktische Durchführung des Programms und die Rolle der einzelnen Akteure und involvierten Institutionen erläutert. Abschließend evaluiert und reflektiert Frau Wenzler-Cremer den eigenen Forschungsprozess und die Wirkung des Patenschaftsmodells.

„Wahrgenommen werden, anerkannt zu sein, für andere zu zählen – das wünschen sich die meisten Menschen in der Interaktion mit anderen“, schreibt Wenzler-Cremer einleitend in ihrem Buch und verweist dabei auf eine Grundidee des Patenschaftsmodells (Wenzler-Cremer, 2016: S. 8). Die Autorin hat die zahlreichen Aussagen von Studierenden differenziert wahrgenommen, und es ist ihr gelungen, diese systematisch zusammenzutragen, gegenüberzustellen und Bezüge zu aktuellen Studien und wissenschaftlichen Konzepten wie etwa Heterogenität, Intersektionalität, Lernprozesse, soziale Kompetenzen oder pädagogische Professionalität herzustellen.

Die Autorin arbeitet unter anderem heraus, dass ein soziales Miteinander immer komplexen Aushandlungsprozessen unterliegt. Konflikte und Reibungen bleiben dabei nicht aus und werden zu Herausforderungen, an denen die einzelnen Akteure im positiven Sinne wachsen können: Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen werden gestärkt, neues Handlungsrepertoire entwickelt, ein Umgang mit Niederlagen und Enttäuschungen gefunden. Das Kapitel, in dem auf mögliche Schwierigkeiten im Patenschaftsprogramm eingegangen wird, ist aus diesem Grund als bereichernder Erfahrungsschatz hervorzuheben, der Lösungsansätze aufzeigen kann.

Abschließend lässt sich festhalten, dass das Buch vielfältige Erfahrungen von Patenschaften differenziert offenlegt und in einzelnen Themenfeldern durch fundiertes Fachwissen gerahmt wird. Zudem werden Übungen aufgezeigt, die zur Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbildern anregen sowie Themenfelder zu Migration, Gender, Kultur, Heterogenität und Kompetenzen aufgreifen. Weitere Materialien zur Evaluation und Vorlagen zur Durchführung stehen in der E-Book-Version zur Verfügung. Das Werk ist – wie auch die Autorin zu Beginn selbst proklamiert – mehr als „ein Erfahrungsbericht aus der Praxis“, da es auch als „theoretische Abhandlung“ und „Gebrauchsanleitung für die Durchführung“ von Patenschaftsprogrammen verstanden werden kann (Wenzler-Cremer, 2016: S. 8). Somit wendet sich das Buch gleichermaßen an Fachwissenschaftler_innen, an Teilnehmer_innen und Koordinator_innen von Patenschaftsmodellen. Es ist ein Plädoyer, weitere Programme zu initiieren, um voneinander zu lernen und gesellschaftliches Zusammenleben in einem Einwanderungsland aktiv zu gestalten.

Rezensiert von Natascha Hofmann, M.A.; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Deutschland; website: www.ph-freiburg.de/ew/homepages/hofmann/zur-person.html; Kontakt: natascha.hofmann@ph-freiburg.de

Category: