Summary (Herbert Asselmeyer: The Commune as a True „ Learning Place“ – a New Perspective for Educational Regions? On the Special Supplementary Relationship of Significant Learning Places: School and Commune): This contribution deals with the explication of the idea and concept of learning regions, to which school networks make an important contribution, because they are the only type of organization with compulsory enrolment. Learning regions can be a network of potenial individual pedagogical institutions, in order to help discover and expand gifts and talents even more effectively. Communes are „the true learning places, for children and adults. Here the young person learns what matters in life, how to configure one’s life with others and to assume responsibility“ (Hüther, 2013).
Keywords: School development, school network, learning regions, intelligent cooperation, neurodidactics
Резюме (Герберт Ассельмейер: Коммуна как истинное «место обучения» – новая перспектива для образовательных регионов? К особому дополнительному соотношению важных мест обучения: школа и коммуна): В данной статье излагается идея и концепция образовательных регионов, при которых школьные объединения являются важным вкладом, потому что здесь речь идет о единственном организационном типе, который является обязательным к посещению. В образовательных регионах могут включаться в сеть потенциалы отдельных педагогических учреждений, чтобы благодаря этому эффективнее оказывать помощь в обнаружении и раскрытии дарований и талантов. Коммуны являются «настоящими местами обучения для детей и взрослых. Здесь молодой человек учит, как определится в жизни, как формировать свою жизнь с другими людьми и брать на себя ответственность» (Хютер, 2013).
Ключевые слова: школьное развитие, школьная сеть, образовательный регион, умная кооперация, нейродидактика
Zusammenfassung: In diesem Beitrag geht es um die Darstellung der Idee und des Konzepts von Bildungsregionen, bei denen Schulverbünde ein wichtiger Beitrag sind, weil es sich hierbei um den einzigen Organisationstyp handelt, der verpflichtend besucht werden muss. In Bildungsregionen können Potenziale einzelner pädagogischer Einrichtungen vernetzt werden, um dadurch Begabungen und Talente noch wirkungsvoller entdecken und entfalten zu helfen. Kommunen sind „die wahren Lernorte, für Kinder wie für Erwachsene. Hier lernt der junge Mensch worauf es im Leben ankommt, wie man mit anderen sein Leben gestaltet und Verantwortung übernimmt“ (Hüther, 2013, Umschlagtext).
Schlüsselwörter: Schulentwicklung, Schulnetzwerk, Bildungsregion, Intelligente Kooperation, Neurodidaktik
1. Bildung ist mehr als Schule! Schule und Kommune als intelligentes System
Dass Kommunen als komplementärer Lernort zur Schule gesehen werden, wird seit Längerem betont, weil wir ansonsten von ihr „Unmögliches verlangen: im Gestückelten den Zusammenhang, in der Abhängigkeit den Umgang mit der Freiheit, ohne Erfahrung den richtigen Gebrauch von Theorie, ohne gesellschaftliche Aufgabe gesellschaftliche Verantwortung zu lehren“ (von Hentig, 1996, S. 209). Auch Community Education zielt auf die Verquickung von Bildungsarbeit mit Gemeinwesenarbeit, denn demokratisches Lernen sei abhängig von Lerngelegenheiten, und zwar innerhalb einer und für die Kommune (Buhren, 1997). Die Kompetenz zur gesellschaftlichen Teilhabe gelinge durch Empowerment für kollektive Entwicklungsprozesse, was die Integration von formalem, non-formalem und informellem Lernen auf der Ebene einer Kommune notwendig mache.
Neu ist nun, dass aus neurowissenschaftlicher Sicht diese Forderung noch radikaler vertreten wird: Wer darauf vorbereitet werden soll, „sich in komplexen Lebenssituation zurechtzufinden, geschweige denn vielfältige und unterschiedliche Herausforderungen zu meistern und dabei innovative und kreative Ideen zu entwickeln und umzusetzen“, der benötigt – früh ausgebildet – dafür ein entsprechend komplex strukturiertes Gehirn, was sich aber durch Erfahrungsbildung in überwiegend kleinen und abgegrenzten Systemen nicht aufbauen ließe (Hüther, 2013, S. 29). Bildungsregionen schaffen ein intelligentes System, damit pädagogische Fachleute von schulischen und außerschulischen Organisationen zusammenwirken können, um den Bildungserwerb von Kindern / Jugendlichen / Erwachsenen zu optimieren.
Die Antwort auf die Frage, wie der Bildungserwerb (als Reaktion auf die Ergebnisse der PISA-Studien) optimiert werden kann, konzentrierte sich in den letzten 15 Jahren vor allem auf das ‚Drehen an innerschulischen Stellschrauben’: Verändertes Verhältnis von Zentralisierung und Dezentralisierung, mehr Eigenverantwortlichkeit von Einzelschulen, noch mehr Qualitätsbewusstsein und konsequentere Best Practice-Orientierung (Schulpreis, Lehrerpreis, …) usw.
Zugespitzt gesagt: Es ist es dadurch gelungen, ein ausgeprägtes Bewusstsein und eine kompetente Praxis zu entfalten, um eine Einzel-Schule als jeweils ‚lernende Organisation’ zu entwickeln (Erarbeitung/Reflexion von Leitbild und Schulprogramm, schuleigene Curricula, Qualitätsmanagement, Feedback-Kultur/Evaluation/Inspektion). Hierdurch wurde die Kommunikation konsequent auf innerschulische Angelegenheiten gelenkt: Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Optimierung der Bildungsprozesse in einzelnen Bildungsorganisationen. Nun kommen weitergehende Fragen in den Blick: Wie passen – aus Sicht der Lerner (Schüler, Jugendliche, Erwachsene) – die pädagogischen Puzzle-Angebote der vielen Einzelorganisationen zusammen, um Bildung zu erwerben? Deutlicher: Es stimmt doch nicht, dass z.B. der Spracherwerb erst mit der Einschulung beginnt und mit der Ausschulung beendet ist (Garbe, 2011)?Oder: Wie sinnvoll ist es, die klassischen Grenzziehungen zur Umwelt (‚Schule als pädagogisch geordnet-gestalteter Schonraum’) beizubehalten, wenn doch ‚Aufbrechen’ und ‚Ausbrechen’ eine bedeutsame Quelle von Bildung ist? (von Hentig 1996, S. 136). In Schule, so die deutliche Kritik, sollte Bildung nicht unbewusst zur Schulbildung eng-geführt werden – Schule sollte aufpassen, nicht zur „ungewollten Domestizierung“ der Kinder und Jugendlichen beizutragen (ebenda).
2. Andere soziale Perspektiven gewinnen: Die grundsätzliche Bedeutung ‚des Dritten’ für Menschen
Die Soziologie betont die Grundannahme, dass der Mensch zur Erfüllung von Grundbedürfnissen andere Menschen benötigt, weil es ihm erst in Gruppen gelinge, sowohl seiner Individualnatur als auch seiner Sozialnatur zu entsprechen. Der Kulturanthropologie Simmel betont nicht nur, dass der Mensch „in seinem ganzen Wesen und allen Äußerungen dadurch bestimmt, dass er in Wechselwirkung mit anderen Menschen lebt“ (Simmel, 1908, S. 3), sondern auch, dass er lernen sollte, „das isolierte Nebeneinander der Individuen zu bestimmten Formen des Miteinander und Füreinander (zu) gestalten“ (ebd., S. 6). Hierzu muss gesehen werden, dass in einer Dyade (‚ego’ et ‚alter ego’) bestimmte entwicklungsrelevante Sozialkonstellationen (Rollen des Vermittlers, Schiedsrichters, neutralen Beraters, Übersetzers, aber auch des lachenden Dritten, des begünstigten Dritten, des Sündenbocks, des Intriganten oder auch die Figur des ‚Divide et impera‘ als Teilen und Herrschen) nicht möglich sind. Simmel unterstellt, dass erst mit der Dreizahl die Urform des Sozialen entstehe, daher auch die Mindestgröße der Gruppe darstelle und dass es sich bei einer Mehr-als-drei-Zahl nur im eine quantitative Erweiterung handele, ohne dass Gruppen ihren Formtypus änderten (ebd, S. 119). Für die Subjektbildung und die Ausbildung von Sozialität bedeutet das: „Bei den Zweier- und Dreierkonfigurationen handelt es sich um das innere Gruppenleben mit allen seinen Differenziertheiten, Synthesen und Antithesen“. Die Funktion der „Zahlbestimmtheit“ (ebd., S. 126) liege darin, dass sie zum einen Untergruppenbildungen und damit „Überschaubarkeit und Lenkbarkeit der Gesamtgruppe, oft eine erste Organisierung“ (ebd.) ermögliche. Um zum anderen in Gruppen den Effekt zu begünstigen, dass „ein gewisser Gemeingeist, eine gewisse Stimmung, Kraft und Tendenz innerhalb einer vereinigten Personenzahl“ (einträte. HA), müsse man „eine Mindestzahl fordern oder nur eine Maximalzahl gestatten“ (ebd., S. 131). Ferner entstammen soziologischer Theoriebildung zahlreiche gruppenrelevanten Modelle, u.a. der „Idealtypus der Gruppe“ (relative Gruppendauer und Kontinuität, Funktionsdifferenzierung, Entstehung von Traditionen und Gewohnheiten; Wiese, 1933) sowie das quasi-mechanische Modell (Gruppe als Interaktionsmaschine), das organismische Modell (Wachstumsstadien führen zur Reife), das Konfliktmodell (Gruppen müssen widerstreitende Interessen managen und Kompromisse aushandeln), das Gleichgewichtsmodell (Gruppen müssen zur Selbsterhaltung Gleichgewicht herstellen), das struktur-funktionale Modell (zielerreichende Systeme erfordern Anpassung an Umwelten durch Wandlung und Integration) und das kybernetische Wachstumsmodell (Gruppen können Informationen verarbeiten, ihre Fähigkeiten erweitern und komplexe Probleme lösen) (Keupp, 1984, S. 207f.). Soziologischer Herkunft sind schließlich auch Begriffspaare wie Primär- und Sekundärgruppe (Cooley, 1956), formelle vs. informelle Gruppe, Bezugs- oder Mitgliedschaftsgruppe (Gukenbiehl, 1980).
3. Wie organisieren wir zukünftig Bildung? Neurowissenschaftliche Einsichten
Das Leben in sozialen Kleinstsystemen (z.B. Kleinfamilien) schränkt Kinder in ihren Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten ein! Auch in der Schule kann man nicht Teilhabe am richtigen Leben aller lernen. Die Folge: Das Leben und Lernen in ‚kleiner werdenden sozialen Systemen’ verändert die Gehirnzellen negativ, weil in solchen Systemen Menschen aufwachsen und lernen, die nicht herausgefordert werden, die nicht über sich hinauswachsen müssen. Das alte afrikanische Sprichwort „Es braucht eben ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“ soll erinnern helfen, dass erst größere soziale Systeme über eine breiter gefächerte Lösungskompetenz verfügen; eine Kommune bietet Lernmöglichkeiten von Menschen in allen Lebensphasen. Bildungsregionen können aus neuro-didaktischen Gründen Schulen veranlassen, den Lernort Kommune (wieder/noch mehr) zu entdecken. Der Appell, das Leben in die Schule zu holen, ist das eine – noch besser ist es demnach, die Schüler und Schülerinnen ins ‚echte Leben’ zu schicken, in die Kommune als ‚wahrer Lernort’, in dem Herausforderungen des echten Lebens gemeistert werden müssen.
3.1 Wenn eine Kommune zum bedeutsamen Lernort für alle Menschen einer Region wird, geht es um einen ‚Lern-Kulturwandel’, der anschlussfähig kommuniziert werden muss
Bildungsregionen helfen, irreführende Alternativen zu vermeiden! Es geht in diesem Zusammenhang eben nicht um ein Plädoyer gegen etwas (z.B. Schule) oder ausschließlich für etwas (Bildungsregion), sondern um ein ‚beidhändiges Denken’: Es geht um die produktive Koexistenz von „Best Practice“ (organisationale Intelligenz, z.B. einer guten Einzelschule) und „Next Practice“ (kommunale Intelligenz, z.B. eine gute Bildungsregion (Kruse, 2004)). Unter dem Stichwort Beidhändigkeit („organisationale Ambidextrie“) wird die Fähigkeit betont, einerseits das Bestehende zu verbessern und gleichzeitig das Neue zu wagen. Diesen Aufbruch ins Unbekannte muss durch ein kluges Bildungsmanagement von Stabilität und Instabilität begleitet und gelenkt werden. Dies geschieht souverän, wenn die Beteiligten mit Zielen und Zielabweichungen umgehen, wenn sie an Widersprüchen und Paradoxien des gewachsenen Schul-/Bildungssystems nicht scheitern und wenn sie bereit sind, sich zu vernetzen, zu kooperieren und zu koordinieren (O’Reilly III/ Tushman, 2008).
3.2 Kommunale Intelligenz erfordert koordiniertes Vorgehen bereitwilliger Kooperationspartner
Dass es bei Lernprozessen auf der regionalen Ebene auch um Didaktik geht, um eine klare Orientierung, um förderliche Methoden und eine ausgeprägte Lernbereitschaft, das sollte selbstverständlich sein: Unterstützt durch die professionelle Koordinierung des Personals in den Geschäftsstellen der Bildungsregionen in einer Region, sollte die Aufmerksamkeit nun gerichtet werden auf das gemeinsame Beantworten folgender fünf Fragen:
- Was ist unsere Vision?
- Welche Strategie sollten wir verfolgen?
- Welche Fähigkeiten sind nützlich?
- Welche Anreize fördern den Prozess?
- Welche Ressourcen helfen, Bewährtes zu pflegen und Neues zu entwickeln?
In Bildungsregionen kommt es nun vor allem darauf, wo nun der Anfang gemacht wird, wie ein Startimpuls entsteht.
4. Zusammenarbeit von Schulen wird zum Thema durch Bildungsregionen
4.1 Assoziationen im Schulalltag
Wenn in Kollegien von Schulen das Thema „Zusammenarbeit von Schulen in Bildungsregionen“ ins Gespräch gebracht wird, dann kommt die breite Palette von negativen und positiven Assoziationen schnell in den Blick. In einem für diesen Beitrag gestarteten Experiment wurden folgende Reaktionen ‚eingefangen‘, die mit Blick auf die gegenwärtige Stimmung in den Schulen als typisch eingeschätzt werden.
Skeptisch machende Assoziationen: Schulverbünde in Bildungsregionen können führen …
- zu alltäglichen Unannehmlichkeiten (Hin- und Herfahren, ständiges Pendeln)
- zu größerem Kommunikationsaufwand („ständig andere Menschen fragen, beteiligen“)
- zum Verlust von Identität („Zerstörung unserer ‚familiären‘ Atmosphäre“, „Vereinheitlichung, z.B. von Schulbüchern“)
- zum Verlust von Ansehen und Macht („Keine eigene Schulleitung mehr“; „Stigma: Wir schaffen’s nicht alleine“; „Schulleiter-Posten fallen weg“)
- zur deutlichen Abwehr
- Ängste werden geweckt („noch mehr Kontrolle“, „unsere Schule wird geschluckt“)
- verordnetes Engagement für Schule von oben („noch ein Projekt, was wir machen müssen“)
- zur Deutung als ‚Notlösung‘ („reines Spar-Modell“, „Stellenabbau“).
Auf die Intervention hin, ob denn ein Schulverbund auch positive Effekte zeigen könne, wurde bei diesem ‚zweiten Blick‘ durchaus auch das Potenzial von schulübergreifender Zusammenarbeit thematisierbar.
4.2. Ermutigende Assoziationen: Schulverbünde können führen …
- zur Arbeitserleichterung durch Zusammenarbeit („nicht alles allein machen müssen“)
- zur Erweiterung des Angebotsspektrums für Schüler („mehr Bildungsmöglichkeiten“)
- zu einem stimulierenden Anregungspotential („Lehrer lernen miteinander/voneinander“)
- zu mehr Teamarbeit (bei der Erstellung schuleigener Lehrpläne, beim Übergangsmanagement von einem System ins andere)
- und auch zu mehr Qualität (Abstimmung in Fachgruppen, Verbindlichkeit, …).
Pädagogen, didaktisch Handelnde und Kommunal-Verantwortliche können aus diesem kleinen Experiment lernen, dass in Schulen hierzu deutliche Positionen vorliegen, und dass in Kollegien eine sensible und im Blick auf den konkreten Nutzen ‚anschlussfähige‘ Kommunikation eine Voraussetzung ist, diese Formen von Zusammenarbeit überhaupt zu ermöglichen.
Pädagogen und Verantwortliche müssen auch wissen, dass es Formen des organisierten Protestes gegen Schulverbünde gibt, der nicht nur auf die Botschaft „Das macht viel Arbeit und wenig Freude“ und auf den eindeutigen Appell „Lasst die Finger davon“ hinausläuft, sondern der auch konkrete Anregung zur Verhinderung von solchen Verbünden formuliert (GEW, 2007), und dass es Widerstand durch Interessen gibt, die sich aus bisherigen ‚Grenzziehungen‘ ergeben (verschiedene Schulträger, kommunale Grenzen). Gleichwohl hat der Deutsche Städtetag in jüngerer Zeit ein überraschend klares Votum für schulische Zusammenarbeit und die Errichtung von Bildungsregionen formuliert, man könnte auch sagen, seine Gestaltungsinteressen auf diesem Gebiet ‚(wieder)entdeckt’, wenn er „plädiert für eine staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft in Bildungsfragen (…). Die Länder müssten dazu die Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Kommunen in der Bildungspolitik vergrößern: Die Städte kennen wegen ihrer Bürgernähe die örtlichen Verhältnisse am besten. Deshalb brauchen die kommunalen Schulträger größere Spielräume bei der Suche nach den jeweils passgenauen Lösungen. So sollte die Bildung von flexiblen Schulverbünden erleichtert werden, in denen Grundschulen, aber auch weiterführende Schulen zusammenarbeiten und ein möglichst präzise auf den örtlichen Bedarf zugeschnittenes Bildungsangebot entwickeln können. Auch die Frage der Schulstrukturen müsse vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung enttabuisiert und pragmatisch diskutiert werden (Deutscher Städtetag, 2007).
Positiv formuliert: Kein vernünftiger Mensch wird eine Zusammenarbeit mehrerer Schulen ablehnen, wenn dadurch wichtige pädagogische Fragen besser gelöst werden. Aber es wird für Schulleitungen und Lehrkräfte darauf ankommen, welche Aspekte bei Schulverbünden in den Vordergrund gerückt werden und ob die Prozesse der Zusammenarbeit selbst eine hohe Dignität haben (oder nicht).
4.3 Bildungsregionen und Zusammenarbeit von Schulen: Begriff und Definition
Gab es bisher immer schon vielfältige, in der Regel intrinsisch motivierte Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulen, die auf freiwilliger Basis stattfinden, also meistens auf Initiative einzelner Lehrkräfte oder Schulleitungen basierten und selten den Status einer verbindlich erklärten Zusammenarbeit der beteiligten Schulen hatten, geht es nun in der gegenwärtigen bildungspolitischen Debatte beim Kompositum „Schule“ und „Region“ um eine gezielte, anregende oder durchaus auch verbindliche und professionell organisierte Form der Zusammenarbeit vor allem zwischen ‚kleinen‘ Schulen. Die hauptsächlichen ‚Treiber‘ solcher Schul-Kooperation kommen derzeit aus zwei Richtungen:
Anregungsfunktion durch Bildungsregionen: Landesweite Konzepte zur staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft können eine schulübergreifende Kooperation stimulieren
Am Beispiel Niedersachsen kann gezeigt werden, dass sich das Land und die Kommunalen Spitzenverbände auf ein „Rahmenkonzept für Bildungsregionen in Niedersachsen“ geeinigt haben.
„In dem Konzept werden grundsätzliche Leitgedanken der Zusammenarbeit von Land und Kommunen, die sich zu einer Bildungsregion entwickeln möchten, beschrieben. Der Begriff Bildungsregion bezeichnet eine auf einen Landkreis, eine kreisfreie Stadt, einen Kommunalverband besonderer Art oder auf eine landkreisübergreifende Kooperation bezogene Vernetzung der Akteure im Bildungsbereich. Unser gemeinsames Rahmenkonzept für Bildungsregionen ist auch ein Symbol für die gemeinsame Verantwortung von Land und Kommunen für ein hochwertiges, qualitätsvolles Bildungsangebot vor Ort. Wir nehmen in dem Konzept das gesamte Spektrum der Bildungsangebote für die Menschen von 0-99 in den Blick – und berücksichtigen gleichzeitig die regionalen Besonderheiten und individuellen Zielsetzungen der einzelnen Kommunen. Das ist ein sehr vielversprechender Ansatz, den wir mit zusätzlichen Mitteln aus der Zukunftsoffensive Bildung voller Überzeugung unterstützen“. (www.mk.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/land-und-kommunale-spitzenverbaende-stellen-rahmenkonzept-fuer-bildungsregionen-in-niedersachsen-vor-130847.html (Zugriff am 5.4.2017)
Mit dem Konstrukt der „Bildungs-Region“ wird aber grundsätzlich eine noch weitergehende, nämlich eine schulsystem-überschreitende Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungseinrichtungen und Organisationen aus dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld betont. Schule wird damit in einem deutlich erweiterten, die Lebensphasen überspannenden Bildungszusammenhang gesehen. Hierbei geht es vor allem darum, ein besseres Übergangsmanagement „Schule – Arbeitswelt“ zu erzielen, eine bedarfs-orientierte Bildungsplanung als Teil der regionalen Entwicklungsplanung zu konzipieren und den Anspruch „lebenslanges Lernen“ in der Region einzulösen.
Dieser Ansatz kann als konsequente Weiterentwicklung der Idee ‚lernender Organisationen‘ hin zu ‚lernenden Regionen‘ interpretiert werden. Ziel dieser organisationalen Ausweitung ist es, die herkömmlichen Barrieren zwischen den Akteuren zu überwinden, damit Bildungsprozesse nicht am Horizont einer Institution begrenzt und stattdessen entwicklungsphasen-übergreifend konzipiert werden können. Solche Regionen-Prozesse werden bildungspolitisch gewollt und deshalb auch gezielt gefördert, zum Beispiel durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderprogramm: „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“) (o. V., 2007) oder durch Landesinitiativen zur Initiierung, Steuerung und Begleitung von Modellregionen (wegweisend hierzu kann eine diesbezügliche Kooperation „Schulentwicklung & Bildungsregionen“ des Niedersächsischen Kultusministeriums mit der Bertelsmann-Stiftung gesehen werden) (o. V., 2005).
Steuerungsfunktion: Schulgesetze können eine Zusammenarbeit festlegen
Am Beispiel Niedersachsens, das als Bundesland zum 1.8.2007 flächendeckend das Konzept der „Eigenverantwortlichen Schule“ (z.B. § 25 des Niedersächsisches Schulgesetzes NSchG (SRH Nds., 24 August 2007, S. 16) realisiert hat, wird im Konstrukt Schulverbund die „ständige pädagogische und organisatorische Zusammenarbeit“ (§ 25, S. 1 NSchG) gesehen, um den radikalen Veränderungsprozess zu unterstützen (von der Input- zur Output-Steuerung), durch abgestimmte Planung und Durchführung von Unterricht (Lernziele, Lerninhalte und Beurteilungsgrundsätze) die Durchlässigkeit zwischen Schulformen zu fördern und zur Entfaltung eines differenzierteren Unterrichtsangebots beizutragen. Vor diesem Hintergrund werden im Übrigen die Eigenverantwortlichkeit von Schule und die Qualitätsvergleiche von Schulen in Bildungsregionen und Netzwerken bildungspolitisch in ‚einem Atemzug‘ genannt (Niedersächsisches Kultusministerium, o. J.). Das heißt: In Schulgesetzen kann festgeschrieben sein, inwieweit Schulverbünde zu etablieren sind. In Niedersachsen ist das für größere Schulen derzeit eine Empfehlung (Kann-Bestimmung), für kleinere Schulen hingegen, die eine vorgeschriebene Mindestgröße unterschreiten (z.B. 20 Lehrkräfte), ist es eine verbindliche Vorgabe, Schulverbünde zu organisieren (Soll-Bestimmung),sofern nicht unzumutbare Gründe (zu große geographische Entfernungen) einen solchen Verbund unsinnig erscheinen lassen (SRH Nds., 27 Dezember 2007, S. 100). Diese Regelung führt dazu, dass vor allem kleinere Schulen sich diesem Thema nicht werden entziehen können.
Folgt man diesem Ansatz, werden folgende ‚Gewinner‘ einer Zusammenarbeit „Schule – Bildungsregion“ in diesem Zusammenhang postuliert:
- Schüler (das Bildungsangebot sei qualitativ hochwertiger und besser aufeinander abgestimmt)
- Lehrer (größere Entfaltungschancen, bessere Fortbildungsmöglichkeiten, breite Informationsmöglichkeiten, Unterstützung durch regionales Projektbüro; professionellere feed back-Kultur durch Nutzung von Evaluationskompetenz; demokratische Teilhabe an der Erörterung von Verbesserungspotenzialen und -maßnahmen; positive Rückwirkung für das Handeln in eigenverantwortlichen Schulen)
- Schulische Funktionsgruppen/Steuergruppen (bessere Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten auf die sich aus der Selbstevaluation ergebenden Zielsetzungen und Maßnahmenplanungen; umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen (7,5 Tage zu Themen wie Zielbildung, Maßnahmenplanung, Teambildung, Veränderungsmanagement, Konfliktmanagement, Projektmanagement)
- Schulen (Beitrag zur Profilierung der Eigenverantwortlichkeit; materielles Anreizsystem: je nach Schulgröße erhalten Schulen für die Region-Teilnahme ein bestimmtes Stundenkontingent für projektbezogene Tätigkeiten; Finanzierung von Vertretungszeit führt damit zur Entlastung). (Bildungsregion Emsland, o. J.)
Zwischenfazit 1:
Bildungsregionen zielen auf und fördern die schulische Zusammenarbeit durch auf eine auf Dauer angelegte pädagogische und organisatorische Zusammenarbeit, um durch curriculare Abstimmung, vergleichbare Leistungsbewertung und gezielte Evaluation die Lehr-/Lernqualität zu erhöhen und die Durchlässigkeit zwischen Schulformen zu ermöglichen.
Schulverbünde haben zwei organisationale Dimensionen:
- ‚Horizontale Schulverbünde‘ führen vergleichbare Schul-Strukturen zusammen:
- Handlungsebene Unterricht (z.B. Vereinbarungen zur Sachunterricht benachbarter Grundschulen)
- Handlungsebene Organisation (z.B. mehrere benachbarte Grundschulen vereinbarten die Zusammenarbeit).
- ‚Vertikale Schulverbünde‘ zielen auf die Zusammenarbeit von Schulen unterschiedlichen Typs (z.B. Grundschulen/Hauptschulen mit Realschulen und Förderschulen eines Stadtgebiets oder einer Region).
Schulverbünde können auch eine entgrenzte Dimension haben: Schulen können sich zur Lösung besonderer Bildungsfragen in Richtung regionale Problemlösung öffnen. Dieses bietet sich besonders bei komplexen Herausforderungen an (Migration, Jugendarbeitslosigkeit, Gewaltprävention, …). Von Interesse dürfte sein, dass hierzu mittlerweile Formen eines ‚intermediären Managements‘(lat.-nlat.: in der Mitte liegend, dazwischen befindlich, ein Zwischenglied bildend – DUDEN Fremdwörterbuch) ins Spiel kommen, um die Zusammenarbeit solcher unterschiedlicher Organisationen und Institutionen (Schulen, öffentliche Hand, Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, Politik und informeller Sektor wie Privatpersonen, Familien, persönliche Netzwerke und Akteure des Gemeinwesens) zu koordinieren. Erwähnenswert ist, dass dabei intergenerationale und interkulturelle Aspekte von Bildung betont mitgedacht werden (Bildungsregion Emsland o. J.). Selbst wenn für viele Schulleiter diese Ausweitung noch fremd oder gar utopisch klingen mag, sei daran erinnert, dass in einigen Regionen auch Schulen mit ihren Schulleitern Hauptakteure solcher Integrationsprozesse sein können (ebd.). Zur Vollständigkeit sei nur erwähnt, dass sich die genannte Entgrenzung nicht nur auf den Aspekt ‚unterschiedliche Organisationen einer Region‘ beziehen muss, sondern auch internationale Dimensionen haben kann.
5. Verschiedene, aber auch gute Gründe, einen Schulverbund zu formen
An dieser Stelle wird der Versuch unternommen, Formen des Zusammenwirkens mehrerer Schulen aus vier Blickrichtungen positiv zu begründen (legalistischer, moral-ethischer, antizipatorischer und organisationaler Aspekt). Der Hauptgedanke dabei ist folgender: Zu wissen, nicht allein auf der Welt zu sein und mein Gegenüber auch als Ressource in dieser einen Welt zu achten, könnte ein bedeutsamer Grund sein für eine wachsende Bereitschaft des Denkens und Handelns nach dem Prinzip ‚miteinander zu arbeiten und voneinander zu lernen’.
Verbünde zu schaffen oder sich zu vernetzen, das entspricht einem uralten Kooperationsgebot (Prinzip „Ein Leib, viele Glieder“ sowie „verschiedene Gaben – aber ein Geist“ (Die Bibel, 1. Korinther, 12) – und vor diesem Hintergrund man kann sich nur wundern, dass wir immer wieder besonderer Inszenierungen bedürfen, um entsprechend kooperationsbereit zu handeln.
- Wortbedeutungen von Verbund: Das Wort „Verbund“ geht zurück auf das Verb ‚binden‘: Wir kennen das Band, den Bund, die Bande, den Verbund, die Verbindung, die Verbundenheit (früher auch: verbündlich, heute: verbindlich). Wir sprechen von Verbündeten, vom Bündnis, um etwas „zusammen zu fügen“.Die Verbund-Idee war zunächst eine Erfindung in der technischen Sprache des 20. Jahrhunderts: das Verbundnetz (miteinander verbundene Hochspannungsleitungen), Verbundglas und Verbundmaschine. Aber auch in der Ökonomie setzten sich Verbünde durch, sei es in der Form der ergänzenden Zusammenarbeit (Verbundwirtschaft), des Zusammenschlusses mehrerer Betriebe zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit oder des Verbandes im Sinne einer Organisation (Körperschaft).
- Warum in dieser historischen Situation Vernetzung eine förderliche Grundhaltung für Schulen ist: Zahlreiche Appelle und Förderprogramme lassen erkennen, dass Vernetzung gewollt ist, um vorhandene Ressourcen besser, effizienter oder mit größerer Reichweite zu nutzen. Hintergrund ist die Paradoxie, dass die Schulpraxis…
- von Eigeninteressen dominiert wird und es zum Beispiel zum Privileg eines Lehrers gehört, sich nicht zu vernetzen (sog. Pädagogische Freiheit, Rekurs auf Artikel des Grundgesetztes). Dieses Verhalten führte u.a. dazu, dass eine Fülle von verfügbaren Lehr-/Lernmaterialien, die mit dem Ziel einer multifunktionalen Nutzung sehr aufwendig entwickelt wurden, völlig ungenutzt blieben und bleiben;
- dass der Schul-Alltag durch jahrelange Belastung(s-Diskussionen) erlahmt ist und eher von (Selbst-) Zweifeln über die Reorganisationsfähigkeit geplagt als von intelligentem Ressourcenmanagement inspiriert wird. An expliziten und verbindlichen Vernetzungs-Strategien und -zielen für die Organisation Schule hat es in den letzten Jahrzehnten gemangelt.
- Schließlich: Schulen sind aus mehreren Gründen in den letzten Jahren stark ins Gerede gekommen. Zynisch gesagt hat sich über die Jahrzehnte ein ‚selbstreferenzieller Autismus’ eingeschlichen, der es ihren Mitgliedern erlaubte, eine eigentümliche Mischung aus Selbstgenügsamkeit und Wahrnehmungsverweigerung zu praktizieren, mit der Folge, dass sich Schule lange von der sie einschließenden und sie prägenden Gesellschaft entfremdet hat.
- Offen geäußert wurden Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Organisationsstruktur des gesamten Bildungswesens. Viele Stimmen sprachen dem herkömmlichen Schulwesen eine Veränderbarkeit ab, und es lag nicht selten die Forderung auf dem Tisch, die Politik müsse hier Druck machen. Aber wie viel und gegenüber wem? Und sollte man nicht fairerweise gleich mit fragen, wie veränderbar unsere Gesellschaft ist, zu der unsere Schulen gehören?
Sinnvoll ist es doch, davon auszugehen, dass Schulen nicht nur mit sich selbst, sondern sich auch mit der system-relevanten Umwelt ‚ins Gespräch’ bringen müssen, was auf Vernetzung hinausläuft. Mit den folgenden vier Aspekten soll die Verbund-Diskussion argumentativ bereichert werden – gute Gründe könnten Schulverbünde und -vernetzungen initiieren, fördern und unterstützen helfen.
5.1 Der legalistische Aspekt: Verbünde unterstützen Entfaltungsrechte
Wenn die oben angedeuteten reklamierten Freiheitsgrade von Lehrern mit Rekurs auf gesetzliche Normen begründet werden, dann lohnt es sich anzuknüpfen an diese legalistische Perspektive: Zu betonen ist dann der Zusammenhang von Lehrer-Rechten einerseits und Entfaltungsrechten von Schülern andererseits (interpretativer Zusammenhang der GG-Artikel I, II und XII) (Weiler, 1979a, b). Dieser ‚Geist’ des Grundgesetzes, der zu unserer Verwunderung viel zu selten artikuliert wird, dass die eine Freiheit nur Sinn macht, wenn sie in Korrespondenz zu den Rechten Anderer gesehen wird, führt zu der Forderung, sich mit anderen Schulen und bildungsförderlichen Einrichtungen zu vernetzen, wenn dadurch ein pädagogischer Mehrwert entsteht. Also immer dann, wenn Schüler durch Verbünde nicht nur erweiterte Angebote und zusätzliche Optionen erhielten, sondern auch einen kompetenten Umgang mit/in Netzwerken erwürben, wäre Vernetzung demnach eine unabweisbare und vor allem pädagogisch begründbare Aufgabe.
Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der breit diskutierten Schlüsselprobleme geht es im Rahmen der modernen Bildung nicht – oder nur begrenzt – um selbstgenügende und abschließende Informationen in einer Schule, sondern vor allem auch um die Unterstützung und Anleitung eines andauernden Interpretationsprozesses, der neue Lösungen, überraschende Einsichten und ggf. auch sprunghafte Perspektivenwechsel beinhaltet bzw. ermöglicht. Dieses verlangt u.a. das Angebot unterschiedlicher, d.h. linearer wie sequentieller ebenso wie räumlicher und paralleler Repräsentationen von Inhalten, Gegenständen, Problemen und Lösungsformen, die sich abwechseln bzw. einander ergänzen. Die Notwendigkeit, individuelle, entwicklungsphasen-übergreifende und biographisch einmalige Lern-Pläne zu unterstützen, relativiert die curricular abgeschlossen gedachten Lehrpläne einer Schulform. Einzubinden sind daher nicht nur andere Formen der Rezeption, der Problemlösung, der Simulation und Improvisation, sondern es ist – unterstützt durch die Existenz zeitgemäßer Technologien – eine Didaktik geboten, die auf ein organisiertes Lernen in Netzwerken zielt. Schulen unterliegen also einem Kooperationsgebot, wenn dadurch Bildungschancen optimiert werden können und Lehrer wie Schüler durch eine Verbundlösung nützliche bzw. größere Handlungsspielräume erwerben.
5.2 Der ethisch-moralische Aspekt: Warum sollte man zusammenarbeiten?
Es ist offenkundig, dass gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur zu einer permanenten Veränderung von Aufgaben, sondern auch zu einer Erhöhung der Komplexität von Problemen führen. Überwiegend wird beklagt, dass dauernde Veränderungen und Reformen bei gleichzeitiger Verschlankung von Organisationen zu einer Verkomplizierung von Kommunikation und einem Zuwachs an Belastungen führen. Eine Forderung der Zeit mündet in ‚Mehr Kooperation der problem-betroffenen Individuen mit dem Ziel der Entlastung’. Widerspricht diese Forderung nicht westlicher Unternehmenskultur, die den Trend der Individualisierung fördert?
In einer utilitaristischen Ethik dient das Verfolgen individueller Interessen dem Allgemeinwohl. Zu fragen ist, wie ist in unserer Kultur Kooperation möglich (eine eindrucksvolle, historisch belegte Trend-Diagnose liefert Kieser, 1999). Das Problem der Kooperation wirft eine uralte Frage auf: Unter welchen Bedingungen entsteht Kooperation in einer Welt von Egoisten? Menschen neigen dazu, in erster Linie für sich und ihre eigenen Interessen zu sorgen (Prinzip „Eigennutz“). Gleichwohl kennen wir das Phänomen Kooperation und interpretieren es als Grundlage unserer Zivilisation (Prinzip „Beidernutz“). Welche Antworten wir auch immer zu diesen beiden Prinzipien entwerfen, sie beeinflussen unser Denken und Handeln, und sie haben große Konsequenzen für die Bereitschaft – sowohl von uns, als auch des Anderen, zu kooperieren. Thomas Hobbes hatte um 1700 eine pessimistische Antwort, als er davon ausging, dass im Naturzustand, also vor Existenz reiner Regierungsgewalt, eine derart rücksichtslose Konkurrenz herrsche, dass das Leben „einsam, ekelhaft, tierisch und kurz“ wäre. Spätestens seitdem fragen wir uns, ob wir zur Kooperation gezwungen werden müssen und inwieweit hierzu die Notwendigkeit von Regierungsherrschaft begründet sein kann?
An dieser Stelle gehen wir von der erfahrungsgestützten Annahme aus, dass sich Kooperation entwickeln lässt, und dass es sinnvoll ist, Theorien und Modelle von/für Kooperation zu kennen und zu nutzen, um Bedingungen und Maßnahmen zu kennen, die Kooperation fördern oder für Kooperation notwendig sind. In der Literatur und den entsprechenden Trainings zum Thema „Warum kooperieren?“ findet man in diesem Zusammenhang immer wieder ‚Spielzüge‘, die Folgen einer Kooperationsfeindlichkeit aufzeigen sollen (‚Gefangenen-Dilemma‘, ‚Börsen-Spiel‘ u.a.). Die Botschaften ähneln sich: Akteure (oder Gruppen), die sich nicht sehen, sondern das Verhalten des Anderen nur antizipieren können bzw. auf das Verhalten des Anderen reagieren müssen, haben drei Handlungsoptionen: Entgegenkommen, Mauern oder Tricksen. Ohne auf Details einzugehen, zeigt sich in der ‚Spiel’-Praxis immer wieder ein faszinierendes Ergebnis: Die beteiligten Gruppen sehen nicht das mögliche hohe Gesamt-Ergebnis mehrerer Jahre, sondern es wird immer nur kurzfristig reagiert auf das unmittelbar vorhergehende Verhalten des Anderen. Noch deutlicher: Hätten die Beteiligten von Anfang an auf Kooperation gesetzt, hätten am Ende beide Seiten jeweils richtig viel Gewinn gemacht – jedenfalls viel mehr, als sie gegeneinander spielend – faktisch dann erwirtschaftet haben. Frustrierend dabei ist, dass die Beteiligten nicht in möglichen Gewinnen denken, sondern es als Erfolg werten, weniger Verlust gemacht zu haben als das Gegenüber.
Die Einsicht verleitet zu folgender These: Wenn wir die Bedingungen für ‚Nullsummenspiele‘ in Schulen durch unser Verhalten mittragen und reproduzieren, entziehen wir uns auf Dauer die Basis unserer eigenen Wohlfahrt! Eine wichtige Einsicht in diesem Zusammenhang lautet: Die Kooperationsbereitschaft wächst, wenn Organisations-Mitglieder in Betracht ziehen müssen, in der Zukunft immer wieder und auf unbestimmte Dauer mit anderen aufeinander zu treffen. ‚Zukunft’ kann also ein Licht auf die Gegenwart werfen und dadurch die aktuelle strategische Situation beeinflussen. Die Evolution von Kooperation unterliegt dann folgender Logik: Das Erleben von Kooperation erzeugt auf Dauer eine eigene Dynamik, denn wer Hilfe erfahren hat, befindet sich im Ungleichgewicht und entwickelt eine Tendenz, dass er etwas zurückgeben will. Natürlich ist die Zurückgabe nicht ‚eins zu eins’ (d.h. nicht sofort, nicht äquivalent, nicht gegenüber derselben Person), sondern nur eingeschränkt möglich. Grundsätzlich ist es aber die Perspektive, dass sich dem Kooperations-Impuls auf Dauer niemand entziehen kann (Freimuth/Elfers, 1992).
In der Organisationslehre werden diesbezüglich evolutionäre Stufen diskutiert, die Kooperation befördern helfen:
- Abbau der Wirkungen von Bedingungen, die ausschließlich individuelle Optimierung fördern;
- Entwicklung von Anreizen für Kooperation und Einsicht in den dann auch individuellen Profit;
- Entfaltung der Dynamik von Wechselseitigkeit (Reziprozität) und damit Einsicht in eine höhere Moralität (Selbstverantwortung und einsicht-geleitete Kooperation).
Zusammenfassend kann festgestellt werden:
„In einer ‚Nicht-Nullsummen-Welt‘ muss ich nicht besser sein als der andere Spieler, um selbst gut abzuschneiden. Dieses ist vor allem dann der Fall, wenn ich nicht mit verschiedenen Spielern interagiere. Es macht nichts, wenn jemand so gut wie ich oder ein wenig besser ist, solange ich selbst gut abschneide. Es hat keinen Zweck, auf den Erfolg anderer Spieler neidisch zu sein, denn: In einem Gefangenen-Dilemma von längerer Dauer ist der Erfolg des anderen praktisch die Voraussetzung dafür, dass ich selbst gut abschneide“ (ebd.).
5.3 Der antizipatorische Aspekt: Was können und wollen wir in 10 Jahren erreicht haben?
Stellen sie sich als Schulleiter folgende Frage: In welcher Situation wird ihre Schule in 10 Jahren sein? Inwieweit wäre Ihre Schule eine gute Schule? Wie wird in 10 Jahren Bildung und Erziehung in Ihrer Region organisiert? Diese und ähnliche Fragen werden stimuliert durch eine viel zu wenig beachtete Studie des Club of Rome (Peccei, 1979), um Innovation und Partizipation zu begründen. Im Blick auf den demografischen Wandel, der einen radikalen Umbau unserer Versorgungssysteme und eine strukturelle Veränderung der Ressourcen zur Sicherung unserer öffentlichen Güter (Bildung, Gesundheit, Soziales) notwendig macht, bedarf es keiner großen Phantasie, dass wir uns Doppelentwicklungen und -organisation nicht (mehr länger) leisten können. Auch im Schulbereich gelten Fragen mittlerweile als diskutierbar, die vor Jahren noch tabu waren (Zusammenlegung von Schulressourcen, Schließung von Schulen etc.).
Wenden wir uns Fragen zu, die nicht von der unbedingten Existenz einzelner Organisationen, sondern von in 10 Jahren dann gelösten bildungspolitischen Problemen ausgehen, z. B.
- erfolgreiche Integration (Bildung und Migration);
- erfolgreiches Übergangsmanagement;
- Erhöhung der Ausbildungsreife;
- Senkung der drop out-Quote (Schulversagerquote, Sitzenbleiber).
Der antizipatorische Blick macht uns auf die ‚gewünschte Zukunft‘ aufmerksam und lenkt die Energie darauf, was wir positiv geschafft haben wollen und welche Innovationen dafür organisiert werden müssen. Selbst wenn neurodidaktische Annahmen nicht unumstritten sind, aber dass Visionen nützlich sind, weil sie Energie mobilisieren, das scheint plausibel zu sein:
„Ausschließlich der Mensch scheint die Fähigkeit zu haben, vom realen Leben im Hier und Jetzt zu abstrahieren, Zukunft zu simulieren, Alternativen durchzudenken – was ihn letztlich befähigt, Sprache zu entwickeln und sich unterschiedlichen Verhältnissen anzupassen. Beschäftigt man sich mit positiven Zukunftsbildern, werden chemische Prozesse in Gang gesetzt: Hormone und der Botenstoff Dopamin werden ausgeschüttet, was angenehme Empfindungen, ja ein Glücksgefühl auslöst (…) Dieses Phänomen wird zusätzlich intensiviert, wenn die positiven Bilder noch mit anderen geteilt werden, man sich wahrgenommen und gebraucht fühlt, sich von der Gemeinschaft getragen sieht“ (Königswieser & Network GmbH, 2008).
Aus dieser Bemerkung sind Konsequenzen zu ziehen, vor allem in Richtung des Anspruchs, dass der Verbundprozess selbst positive Energie auslösen können sollte.
5.4 Der organisationale Blick: Wertvolle Beziehungen pflegen, um etwas Neues schaffen
Beim Blick in die aktuelle Presse bekommt man durch die Stichworte ‚maßlose Managergehälter’ nur erneut die Bestätigung für die Alltagsbehauptung ‚Geld regiert die Welt’. Doch immer mehr Menschen zweifeln daran, denn sie wollen mehr: Eine interessante Tätigkeit, die Pflege wertvoller Beziehungen, das Streben nach Anerkennung am Arbeitsplatz, die Beachtung der Menschenwürde, die Sinnentfaltung und Weiterentwicklung. Diese Ansprüche gipfeln im Konzept der ‚gebildeten Unternehmung’ (Peterson, 1997). Daraus kann man lernen, dass Menschen Wissen, Kompetenz und Leidenschaft zur Verfügung stellen, dass sie Vertrauen und Loyalität dann zurückgeben, wenn ihre Bedürfnisse nach Entfaltung und Schutz vor Gefahren berücksichtigt werden. Für unseren Zusammenhang Schulverbund ist besonders interessant, dass die aktuelle Netzwerkforschung (Sydow & /Windeler, 2000) lehrt, dass es in den Unternehmen von Morgen mehr auf wertvolle Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Geldgebern ankommt. Demzufolge müsse sich auch Mitglieder zukunftsfähiger Organisationen darauf einstellen, beiderseitige, freiwillige Gewinnbeziehungen in den Mittelpunkt zu stellen (Geißler & /Sattelberger, 2003).
Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Frage beantworten, was die zentralen Kategorien der Organisation von Schulverbünden sind: spürbar nützliche und wirkungsvolle Zusammenarbeit, hinreichend Vertrauen, Selbstverpflichtungen, Verlässlichkeit, faire Verhandlungen, hilfreiche Vereinbarungen und dauerhafte Beziehungen. Insbesondere im Schulbereich, der einen hohen Grad von Autonomie beansprucht, wären Machtstrategien, Betonung von Hierarchie, ein Regelungs-Fetischismus und das Übergehen von Skepsis und Ängsten kontraproduktive Faktoren einer Schulverbund-Entwicklung.
5.5 Zwischenfazit 2:
Schulleiter sollten im Zusammenhang mit Schulverbünden analysieren, auf welche Argumente Kollegien wie Verbund-Promotoren ihre Aufmerksamkeit richten. Die genannten vier Aspekte können helfen, Bewegung in das teilweise festgefahrene und häufig überwiegend skeptische Denken über Schulverbünde zu bringen und dass die Idee, durch Verbünde Nutzen zu mehren, noch seriöser erörtert werden kann.
6. Ein gutes Beispiel kennen: Der Schulverbund Pustertal (Südtirol)
In diesem Beitrag zu Schulverbünde soll die Kurzdarstellung von Erfahrungen eines weithin als erfolgreich bewerteten Schulverbund-Beispiels, das alles andere als eine ‚leichte Entwicklung‘ hatte, zur ermutigenden Veranschaulichung des entsprechend Konzepts beitragen (die nachfolgenden Ausführungen basieren auf der Darstellung Peintner & /Watschinger, o. J.).
6.1 Chronologie
1999 | Zusammenschluss von vier Grundschuldirektionen unter dem Motto „Miteinander reden – gemeinsam Schule gestalten“ Initiierung des Projekts „Schulentwicklung im Schulverbund“ (Beratung/Begleitung: Prof. Rainer Brockmeyer) Bildung von Koordinierungsgruppen |
2000 | Landesgesetz zur Schulautonomie in Südtirol erlassen Aufgaben können in Kooperation mit anderen Schulen gelöst werden |
2001 | Schulreform: Grund- und Mittelschulen wurden zusammengeschlossen; neuer Schulverteilungsplan ‚zerreißt‘ bestehenden Schulverbund |
2001 | Neuformierung des Schulverbunds – Suche nach neuen Partnerdirektionen |
2002 | Vertragliche Unterzeichnung der 13 Direktionen des Pustertales zum Schulverbund (Verknüpfung in einem geographisch logischen Raum; tw. bereits schon bestehende Formen der Zusammenarbeit, vor allem auf dem Feld der Fortbildung). |
6.2 Wesentliche Elemente der Schulverbundarbeit
- Entwicklung von Leitbildern und Schulprogrammen
- Divergente Haltungen und Interessen wurden durch das erste Hauptziel zusammengeführt: „Wir wollen zu einer stimmigen Leitbild- und Schulprogrammarbeit finden und Entwicklungen gezielt in die Wege leiten. Wir wollen gemeinsam eine kompetente Beratung und Begleitung einkaufen und uns gegenseitig unterstützen“
- Anregung zur Selbstaktivierung
- Zugestehen eigener Wege und Zeit-Logiken
- Fortbildung, Beratung und Begleitung zu Funktionen, Struktur, Formen von Leitbildern, Beteiligung von Eltern etc.
- Austausch von Arbeitsaufträgen und Erfahrungen
- Klärung „Was soll in 1-2 Jahren sein? Welche Hilfen benötigen wir?“
- Erarbeitung von vorrangigen Arbeitsschwerpunkten in Form von Zielvereinbarungen zu „Unterricht“, „Organisation“, Schulklima“ und „Zusammenarbeit mit Partnern“
- Arbeit auf 3 Struktur-Ebenen
- Einzelne Schulstelle (Planungssitzungen, Ortskonferenzen)
- Schuldirektion (schulstellen-übergreifende Koordinierungsgruppe)
- Koordinierung zwischen Direktionen
- Wichtige Arbeit der Koordinierungsgruppen
- ‚Schaltstelle‘ zwischen Schulen, wiss. Begleitung, anderen Schulstellen und Direktionen (Steuerung der Leitbildarbeiten, feed back, Informationsfluss, Transformation von Ideen/Kritik, Aufgreifen von Bedürfnissen/Fördern von berechtigten Interessen)
- „Sprechen“
- Dialog als wichtiges Instrument (Förderung der Zusammenarbeit, Teams, …)
- Aktiver Aufruf zur Kommunikation, zur Kritik mit dem Ziel, Hemmnisse des gemeinsamen Vorhabens aus dem Weg zu räumen
- Anspruch: Schulen erleben sich als lernende Organisationen (gegenseitige Unterstützung, Aufzeigen von Stärken/Schwächen, Arbeit an Optimierungen)
- Selbstverantwortung
- Lehrende müssen zunächst Verantwortung für die eigene Schule nehmen (lernen):
- Sensibilisierung für den Schulentwicklungs-Auftrag
- Unterstützung im Erproben von Neuem
- Miteinander über Unterricht reden, positive Rückmeldung geben und Kritik formulieren lernen
- Evaluationsergebnisse nutzen, interpretieren und für die Weiterentwicklung von Schule verwenden lernen
- Lehrende müssen zunächst Verantwortung für die eigene Schule nehmen (lernen):
- Sinnvolle pädagogische ProjekteNach der Leitbild- und Schulprogrammarbeit wurden weitere Arbeits- und Tätigkeitsfelder auf Schulverbundebene organsiert:
- Frühdiagnostik/Frühförderung
- Verhaltensauffälligkeiten
- Gemeinsame Fortbildung
- Optimierung des Zweisprachenunterrichts
- Neue Medien
- Evaluation
- Aufbau eines Unterstützungssystems
- Kontinuität in der Schulentwicklungsarbeit
Geplant sind:
- Förderung von Ausländerkindern
- Werkstattunterricht
- Rechnen an der Sache
- Architektur und neues Lernen
- Disziplinarmaßnahmen
6.3 Wichtigste Erfahrungen
Schulverbund-Arbeit ist geprägt von Dynamik und Turbulenzen
- Verbundaufgaben erfordern enorme Bearbeitungsressourcen.
- Das Schaffen von Orientierung verschlingt Unmengen von Energie.
- Immer mehr überzeugendere und erfolgreichere Bearbeitungsstrategien werden erkennbar und immer erfolgversprechendere Konzepte werden präsentiert (aber auch: Anpassungen an veränderte Bedingungen können Einzelschulen nicht oder nur begrenzt leisten).
- Neue Medien verschaffen Informationen und guten Zugang zu Wissen.
- Schuladministration als auch Einzelschulen produzieren dauernd ‚neues Wissen‘: Anstrengungen zur Zusammenführung sind erforderlich (Ziel: „kollektive Intelligenz“).
- Ausbildung von Lehrenden zu Schulentwicklungsberatern muss besser gelingen und zur besseren Verzahnung von Einzelschule und Schulterritorien beitragen.
Schulen sind auf verlässliche Unterstützungs-Strukturen angewiesen
- Aufbau und Sicherung von Experten-Dienstleistung nicht im ‚Alleingang‘ möglich > Verbund sichert Synergien
- Unterstützungsleistungen müssen ständig geprüft werden, inwieweit sie ihre „Klienten“ erreichen
Hoher Grad von Selbstorganisation bei intrinsischer Motivation
- Fähigkeiten werden genutzt und verstärkt
- Teilsysteme erhalten und stabilisieren sich wirkungsvoll
- Spielräume müssen auf der Ebene der Einzelschule erhalten bleiben
- Durch eine glaubwürdige Unterstützung können die positiven Selbststeuerungs-Effekte stabilisiert werden.
Neigung zu neuen ‚Zentralismen‘
- Autonomie führt zur Belebung alter Organisationsmuster
- Kritische Freunde soll die wichtige Funktion wahrnehmen, hier ggf. einzugreifen, um die Selbstorganisationsprozesse auf allen Ebenen zu sichern und ‚blinde Flecken‘ und Fehlentwicklungen durch Reflexionsprozesse mit korrigieren zu helfen.
Mit der Zeit (und nicht von heute auf morgen!)…
- wächst die Effizienz der Schulverbundarbeit
- können sich neue Haltungen und Einstellungen durchsetzen, wenn durch konkrete Erfahrungen im Alltag spürbare Verbesserungen möglich werden und deshalb die gemeinsame Schulverbund-Arbeit als sinnvoll erlebbar ist
Schließlich:
- Der Schulverbund braucht Menschen, die sich selbstmotiviert auf den Weg machen können!
- Schulentwicklungsprozesse im Verbund sorgen gleichwohl dafür, dass der eigenen Arbeit Sinn gegeben wird.
7. Was lässt sich aus bisheriger Verbundarbeit in Bildungsregionen lernen?
Studiert man die einschlägige Fachliteratur, kann man sich schnell anhand empirischer Forschungsergebnisse informieren, woran Integrationsprozesse (wie Verbundentwicklungen und Fusionen etc.) scheitern. Schulleiter sollten wissen, welche Fehler in Integrationsprozessen immer wieder ‚geschehen‘ (Jansen/Körner, 2000):
- Unzureichende Einbeziehung der Mitarbeiter (31 %)
- Unzureichende Kommunikationsstrategien (27 %)
- Fokus auf Kostensynergien statt auf Innovation (19 %)
- Nur Top-Down-Kommunikation (19 %)
- Zu starke Zentralisierung der Koordination mit Überlastung der Entscheider (18 %)
- Schlechte Planung des Integrationsprozesses (18 %)
Nutzt man solche wichtigen Erfahrungen aus Fusionen (Böning & Fritzschle, 2001) sowie die Erkenntnisse aus Verbundentwicklungen und Regionalisierungsprozessen, dann lassen sich zugespitzt – bei Außerachtlassung aller Besonderheiten, die in den Personen, Schulen und Regionen liegen können – nützliche Empfehlungen formulieren. Die folgende Darstellung orientiert sich an einer der umfangreichsten diesbezüglichen Fusions-Analysen in Deutschland der letzten Jahre.
7.1 Entwicklungsschritte zu einem Schulverbund (tabellarische Übersicht)
In der nachfolgenden Tabelle wird zur Orientierung ein idealtypischer Ablauf einer Schulverbund-Entwicklung beschrieben. Es wird betont, dass im konkreten situativen Fall einzelne Schritte übersprungen, in anderer Reihenfolge oder auch in sich wiederholenden Schleifen durchgeführt werden können.
Nr. | Ziel | Merkmal | |
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Schaffen einer vorläufig arbeitenden Mini-Arbeitsgruppe „Schulkooperation“ | Ziel transparent machen und dafür sorgen, dass eine Kleingruppe einen Entwurf erarbeitet, wie das Thema „Schulverbund“ in der Schule erörtert werden soll | ||
Situationsanalyse
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Motivation ‚unserer‘ Zusammenarbeit reflektieren:
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Abgrenzung: Möglichen Verbundformen ‚durch deklinieren‘
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Nicht voreilig starten! Chancen und Risiken bedenken! |
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Entdecken von möglichen / passenden Wunschpartnern | Sichtung vorhandener / Nutzung bereits bestehender Kooperationen, Prüfung der Motivationen möglicher Partner im Verbund
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Schaffen eines angemessenen Zeitrahmens | Langsamkeit als Tugend! In der Ruhe liegt die Kraft! | ||
Einbeziehung und Vorbereitung der Mitarbeiter | Schnellstmögliche und konsequente Beteiligung aller Mitarbeiter in unserer Schulen | ||
Bildung einer offiziellen Arbeitsgruppe Schulverbund | Richtige Mannschaft bilden! Passendes Timing! | ||
Erarbeitung eines attraktiven Gesamtkonzepts für die Beteiligung an einem Schulverbund (Schaffung eines möglichst klaren Zukunftsbildes) | |||
Frühestmögliche Erstellung eines plausiblen und durchdachten Kommunikations-Konzepts für die Initiative in Richtung Schulverbund (Liste / Reihenfolge der Ansprechpartner) | |||
Kontaktgespräche vorbereiten |
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Kontaktaufnahme |
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Schrittweise gemeinsame Realisierung einer Schulverbund-Beteiligung | |||
I | Gemeinsames Projektmanagement organisieren |
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II | Bedeutsame Begegnungen organisieren |
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III | Auf Akzeptanz und Zustimmung achten |
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IV | Für Verbund-Erfolge sorgen! |
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V | Für Glaubwürdigkeit sorgen! |
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VI | Für Unterstützung sorgen! |
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VII | Für Entschiedenheit sorgen! |
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Literatur
- Bildungsregion Emsland (o. J.): URL: www.bildungsregion-emsland.de(Abrufdatum: 05.09.2016).
- Böning, Uwe & Fritzschle, Brigitte (2001): Herausforderung Fusion – Die Integration entscheidet. Wie das neue Unternehmen auf Erfolgskurs kommt. Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Buch.
- Buhren, Claus G. (1997): Community Education. Münster: Waxmann.
- Deutscher Städtetag (2007): Kongress „Bildung in der Stadt“ des Deutschen Städtetages, Aachen, November 2007. URL: www.staedtetag.de/fachinformationen/bildung/058050/index.html (Abrufdatum: 05.09.2016).
- Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft.
- Duden Band 5 (2001): Duden – Das Fremdwörterbuch. 7. Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG.
- Freimuth, Joachim & Elfers, Claudia (1992): Zur Logik und Ethik von Kooperation. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, 2/1992, S. 34-43.
- Garbe, Christine (2011): Die wilden Kerle lesen doch! Leseförderung für Jungen. URL: www.literarisches-zentrum-goettingen.de/static/medialibrary/2011/10/Vortrag_Garbe.pdf(Abrufdatum: 05.09.2016).
- Geißler, Harald & Sattelberger, Thomas (Hrsg.) (2003): Management wertvoller Beziehungen. Wie Unternehmen und ihre Businesspartner gewinnen. Wiesbaden: Gabler.
- GEW (2007): GEW-Fraktion im Schulbezirkspersonalrat Lüneburg: Schulverbünde: Viel Arbeit – wenig Freude“. In: GEW-Blitz-Info, Dezember 2007.
- Hentig, Hartmut von (1996): Bildung. Ein Essay. München: Carl Hanser.
- Hüther, Gerald (2013): Kommunale Intelligenz. Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden.Hamburg: Ed. Körber-Stiftung.
- Kieser, Alfred (1999): Die Entstehung der Organisation – und die allmähliche Vertreibung des ethischen Handelns aus ihnen. In: Kumar, B. N., Osterloh, M. & Schreyögg, G.: Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
- Königswieser & Network GmbH (2008): Vision + X = Energie. In: Journal. Komplementäre Beratung und systemische Entwicklung. Ausgabe Nr. 3, Jänner 2008.
- Kruse, Peter (2004): Next Practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung. Offenbach: Gabal.
- Jansen, Stephan A. & Körner, Klaus (2000): Fusionsmanagement in Deutschland: eine empirische Analyse von 103 Zusammenschlüssen mit deutscher Beteiligung zwischen 1994 und 1998 unter spezifischer Auswertung der Erfolgswirkungen des Typus der Fusion, der (Inter-)Nationalität, der Branche und der Unternehmensgröße; ausgesuchte Ergebnisse. Witten-Herdecke: Univ., Fak. für Wirtschaftswiss.
- Niedersächsisches Kultusministerium (o. J.): URL: www.mk.niedersachsen.de/schule/unsere_schulen/ (Abrufdatum: 05.09.2016).
- Niedersächsisches Schulgesetzes (NschG). URL: www.mk.niedersachsen.de/service/rechts_und_verwaltungsvorschriften/niedersaechsisches_schulgesetz/das-niedersaechsische-schulgesetz-6520.html (Abrufdatum: 05.09.2016).
- O’Reilly, Charles A. & Tushman, Michael L. (2008): Ambidexterity as a dynamic capability: Resolving the innovator’s dilemma. In: Research in Organizational Behavior, 28 (2008), pp. 185–206.
- Peccei A. et al. (1981) (Hrsg.) (Erstauflage 1979): Das menschliche Dilemma. Zukunft und Lernen. Molden, Wien: Goldmann Verlag.
- Peintner, Silvia & Watschinger, Josel (o. J.): Schule mit Partnern gestalten – Der Schulverbund Pustertal. URL: www.blikk.it/angebote/schulegestalten/schulverbund/Bilder/Der_Schulverbund.pdf(Abrufdatum: 05.09.2016).
- Weiler, Hagen (1979a): Verfassungstreue im öffentlichen Dienst. Königstein/Regensburg: Athenäum.
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- Schulrechtshandbuch Niedersachsen SRH, vom 27. Dezember 2007.
- Peterson, Jendrik (1997): Die gebildete Unternehmung. Band 4 der Reihe Bildung und Organisation (Hrsg.: Geißler, Harald & Peterson, Jendrik.) Frankfurt am Main: Lang.
- Sydow, Jörg & Windeler, Arnold (Hrsg.) (2000): Steuerung von Netzwerken. Konzepte und Praktiken. Wiesbaden: Gabler.
Über den Autor
Prof. Dr. phil. habil. Herbert Asselmeyer: Professor für Organisationspädagogik, Direktor organization studies (www.organization-studies.de), Stiftung Universität Hildesheim (Deutschland). Kontakt: herbert@asselmeyer.de